Die Kunst der Strafverteidigung
Die sächsische Justiz ist in den vergangenen Jahren in die Schlagzeilen geraten. Große Wirtschaftsprozesse gingen ebenso durch die Presse wie öffentlichkeitswirksame Gewaltdelikte oder kriminelle Übergriffe mit politischem Hintergrund. Jedes Strafverfahren lebt dabei auch von seinen Protagonisten. Einen von ihnen, den Dresdner Strafverteidiger Andrej Klein, haben wir zu seinen Eindrücken befragt.
Strafverteidiger werden in der Öffentlichkeit oft negativ dargestellt. Im Fernsehen sind es häufig schlitzohrige oder schmierige Typen, die ihre Mandanten raushauen. Für einige Richter und Staatsanwälte gelten Verteidiger nur als Blockierer oder gar Strafvereiteler. Was sagen Sie dazu? Wie sehen Sie sich selbst?
Klein: Zunächst einmal kann ich das negative Image nicht teilen, auch im Fernsehen nicht. Da gibt es blitzgescheite, witzige und fachlich brillante Typen, gerade auch in amerikanischen Serien. Bei Lichte betrachtet beschweren sich auch immer nur die, die im Strafverfahren Nachteile erfahren haben: Die Richter, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Verfahren effizient zu führen; die Politiker, wenn sie angeblich zu lange und zu teure Verfahren kritisieren; die Staatsanwälte, wenn sie zu milde Strafen beklagen. Dabei ist Vieles hausgemacht und hat mit dem Verteidiger primär nichts zu tun. Fehlerhafte Ermittlungen, unzureichende Anklagen, eine ineffektive Verhandlungsplanung, zermürbend langatmige Beweisaufnahmen bis hin zu fehlender Technik. Da ist es aus meiner Sicht nicht nur nachvollziehbar, sondern geradezu die Pflicht eines guten Verteidigers, daraus den größtmöglichen Vorteil für den Mandanten zu schlagen.
Ungeachtet dessen: Ich pflege ein sehr kollegiales Verhältnis zu den meisten Staatsanwälten, Steuerfahndern oder Zollbeamten. Das muss bei einem professionellen Umgang miteinander auch so sein. Man sieht sich im Juristenalltag ja ganz oft. Ich bin auch niemand, der auf Ermittler verbal einprügelt. Immerhin gäbe es ohne Polizisten, Steuerfahnder und Staatsanwälte auch keine Verteidiger. Und eines steht genauso fest: Am Ende ist auch der größte Kritiker froh, dass er dann einen guten Verteidiger hat, wenn es bei ihm selbst brennt. Ich habe schon einige Kollegen, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Politiker verteidigt, deren Blick auf die Strafverteidigung sich anschließend deutlich geändert hatte.
Wie reagieren Sie, wenn Forderungen nach höheren Strafen laut werden, zumeist infolge öffentlichkeitswirksamer Sexualverbrechen?
Klein: Ich bin klar dagegen. Auch gegen jede Art von populistischer Stimmungsmache. Zum einen haben wir ein durchaus funktionierendes Sanktionsgefüge. Zudem sind die Strafrahmen und die Nebenfolgen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung schon sehr hoch und die Eingriffsschwelle sehr niedrig. Viel wichtiger ist jedoch, dass das Bild einer angeblich zu milden Strafe immer sehr subjektiv geprägt ist. Das liegt in der Regel an einer falschen Erwartungshaltung. Ich habe in meinen Verfahren als Verteidiger noch nie erlebt, dass ein Geschädigter mal zufrieden aus einem Verfahren gegangen ist. Aus Sicht einer Nebenklage ist keine Strafe hoch genug. Auch ist der Angeklagte nicht verpflichtet, zur Tataufklärung beizutragen oder die Fragen der Hinterbliebenen nach dem Warum zu beantworten. Das frustriert natürlich. Das geht aber auch Polizisten oder Steuerfahndern so, die es immer wieder beklagen, wenn ein Angeklagter angeblich viel zu milde weg kommt, obwohl man jahrelang gegen ihn ermittelt hat. Aber auch das ist meist hausgemacht und nicht das Problem des Verteidigers.
Was sagen Sie, wenn in der Öffentlichkeit über ungerechte oder zu milde Strafen diskutiert wird?
Klein: Dass das in den meisten Fällen nicht stimmt. Und das Recht nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat.
Wie meinen Sie das?
Klein: Im Strafverfahren geht es zunächst einmal nicht um die Wahrheit, was also tatsächlich passiert ist. Unser Rechtssystem ist auf die prozessuale Wahrheit ausgerichtet. Wahr ist, was mit Hilfe zulässiger Beweismitteln festgestellt wird. Was der Staatsanwalt nicht beweisen kann, darf dem Angeklagten im Urteil nicht angelastet werden. Zumindest sollte es in einem Rechtsstaat so sein.
Das kann natürlich ungerecht sein. Nehmen Sie ein Beispiel: Der Angeklagte wurde zu einer Aussage genötigt. Oder dessen Mutter wird nicht darüber belehrt, gegen ihren Sohn nicht aussagen zu müssen und macht das dann. Er kann – sofern es keine anderen Beweise gibt – dann eben nicht verurteilt werden, obwohl er es vielleicht war. Das ist rechtsstaatlich richtig, aber natürlich nicht gerecht. Andererseits haben auch Richter die Freiheit zu ungerechten Entscheidungen. Wenn alle im Gerichtssaal gehört haben, dass ein rotes Auto den Unfall verursacht hat, im Urteil aber steht, es war das blaue, dann war es das blaue. Als Verteidiger kann ich diese Beweiswürdigung in einer Revision nicht rügen.
Wie erklären Sie Mandanten das? Was können Sie als Strafverteidiger tun, um Fehlurteile zu vermeiden?
Klein: Häufig stehen Rechtsmittel zur Verfügung, mit dem man in der nächsten Instanz dann Recht bekommt. Schwierig wird es, wenn man mit der Revision nur ein Rechtsmittel gegen ein Urteil hat. Dann kann nicht die gesamte Beweisaufnahme wiederholt werden, sondern das Urteil wird nur auf Rechtsfehler überprüft. Und dabei hängt es zu allererst von der Qualität des Richters aber auch des Verteidigers ab, ob man Erfolg hat. Ein erfahrener Richter kann revisionssichere Urteile schreiben. Die sind zwar möglicherweise falsch, aber rechtsfehlerfrei geschrieben. Andererseits habe ich die Erfahrung gemacht, dass oberlehrerhaft oder autistisch verhandelnde Richter sich häufig selbst überschätzen und entweder im Verfahren oder im Urteil Fehler machen und deren Urteile dann aufgehoben werden. Da kann ich dann eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen. Auch freut es mich für die Mandanten, wenn ein Urteil gekippt wird, zumal ein langes Strafverfahren meist eine hohe seelische Belastung darstellt.
Wollen Sie eigentlich immer wissen, was tatsächlich geschehen ist?
Klein: Natürlich interessiert mich das. Ich bin aber andererseits recht illusionslos, weil ich davon ausgehe, dass mir einige Mandanten auch nicht die Wahrheit erzählen. Nicht, dass sie lügen. Viele verdrängen es, wollen es nicht wahr haben oder erinnern sich falsch. Und manchmal will ich es auch nicht wissen, um nicht selbst in einen Konflikt zu kommen. Insofern halte ich mich sehr genau daran, niemals bewusst Falsches vorzutragen. Alles, was ich als Anwalt sage, muss richtig sein. Die Kunst der Strafverteidigung ist es jedoch, dass man nicht alles sagen muss oder gar darf, was man weiß. Das ist der feine Unterschied.
Das sächsische Finanzministerium gibt jährlich Statistiken und Presseerklärungen heraus, in denen die Erfolge der sächsischen Steuerfahnder dargestellt werden, so auch im März dieses Jahres. Wie stehen Sie als Wirtschaftsstrafverteidiger dazu?
Klein: Ich bin kein Fan solcher Statistiken. Ich kann verstehen, dass man seine eigene Arbeit in der Öffentlichkeit rechtfertigen möchte. Es ist aber nicht wirklich seriös, die Gesamtsumme von 64 Jahren rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafen mitzuteilen. Oder was sagt es aus, wenn man 66 Millionen an Steuern „aufgedeckt“ hat? Sind das die Steuern, die die Steuerfahndung ermittelt zu haben glaubt oder sind es die geschätzten Zahlen am Ende einer Steuerprüfung? Es sind nach meiner Kenntnis weder die bestandskräftig festgesetzten Steuern, geschweige denn die tatsächlich vollstreckten. Das aber ist genau der Punkt, an der die Verteidigung gegen den Vorwurf einer Steuerhinterziehung ansetzt. Ich könnte mit meiner eigenen Statistik dagegenhalten, nach der ich allein im 1. Halbjahr 2019 den Mandanten mehr als 2,35 Mio € erspart habe. Das ist die Differenz zwischen dem ursprünglichen Vorwurf, mit dem die Mandanten vor langer Zeit zu mir kamen, und den von den Gerichten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres festgesetzten Steuer- oder Hinterziehungsbeträgen. Dies zeigt, wie sinnvoll aber auch langwierig Verteidigung sein kann.
Der „Focus“ hat Sie gerade zum 6. Mal in Folge zu einem der besten Strafverteidiger Deutschlands gekürt. Macht Sie das stolz?
Klein: Ja natürlich, wobei man das etwas relativieren muss. Woran misst man schon den Erfolg im Strafverfahren – in eingesparten Gefängnisjahren oder an der Zahl der gewonnenen Fälle? Der Focus wählt auch nicht die besten Rechtsanwälte, sondern „die am meisten von Kollegen empfohlenen“. Es wurden in diesem Jahr knapp 24.000 Fachanwälte befragt, wen sie denn u. a. im Strafrecht empfehlen würden, wohin sie also Mandanten im Strafrecht schicken würden, die sie selbst nicht vertreten wollen, weil sie auf einem anderen Rechtsgebiet tätig sind oder weil sie es aus verschiedenen Gründen nicht tun können oder dürfen. Eine solche Kollegenempfehlung ehrt mich natürlich, weil es bei dieser Auswahl im Wesentlichen um fachliche Aspekte und ein loyales Miteinander geht.
Was werden Sie eigentlich am häufigsten von Mandanten gefragt?
Klein: Die meisten Mandanten fragen gleich zu Beginn, was sie denn schlimmstenfalls erwartet. Das kann ich natürlich verstehen, geht es doch zumeist um sehr viel. Die Frage ist aber bei einem Erstgespräch ohne Kenntnis der Ermittlungen und des Umfangs der Vorwürfe schwierig zu beantworten. Viele Kollegen ziehen sich auf den bekannten Spruch zurück, dass man vor Gericht und auf hoher See allein in Gottes Hand ist. Urteile haben für mich aber nichts Schicksalhaftes oder gar Gottgegebenes. Man kann nur Pech haben, indem man an den falschen Richter gerät. Aber wenn man lange genug im Geschäft ist, kennt man auch die jeweiligen Gegenüber und deren Eigenarten. Wichtig ist, dass man den Mandanten nicht belügt oder falsche Erwartungen weckt. Ich bin nicht dazu da, die Schäfchenwolken an den blauen Himmel zu pusten. Andererseits ist es gerade im Erstgespräch wichtig, den Mandanten zu beruhigen und ein bisschen „in den Arm zu nehmen“. Immerhin kommen die Leute ja in den Strafsachen oder Steuersachen erst zu mir, wenn es schon brennt.
Und was fragen die Nichtmandanten?
Klein: Warum ich „so jemanden“ verteidige.
Was antworten Sie darauf?
Klein: Zunächst einmal, dass das mein Beruf ist. Und natürlich versuche ich, den Leuten den Rechtsstaat nahezubringen. Jeder hat das Recht auf Verteidigung. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. In einigen Fällen tun mir die Mandanten leid, weil sie einmal in ihrem Leben etwas falsch gemacht haben und dies auch bereuen. Andere Fälle interessieren mich fachlich oder sind eine Herausforderung. Gerade auch die angeblich aussichtslosen Fälle. Wichtig ist, immer eine gewisse Distanz zum Mandanten zu wahren und sich nicht mit dessen Anschauungen gemein zu machen. Das Duzen von Mandanten ist mir zum Beispiel suspekt. Ich vermeide es. Es gab aber auch bei mir Fälle, die mir psychisch zu schaffen gemacht haben und mich schlecht schlafen ließen. Auch habe ich mich sicher das ein oder andere Mal verrannt. Dann hilft es mir immer, sich einmal kurz in die Lage eines Außenstehenden zu versetzen, um die Sache entweder entspannter oder auch nur neutraler anzugehen.
Man spürt, dass Sie in Ihrem Job aufgehen. Würden Sie den Beruf auch Ihren Kindern empfehlen?
Klein: Keine einfache Frage. Da kommt es wirklich auf den Typ an. Man muss einerseits sensibel durch die Welt gehen, darf aber andererseits nicht alles zu nah an sich heranlassen. Mal ist man an vorderster Front, mal Psychologe und Seelsorger gegenüber dem Mandanten. Man muss weiter bedenken, dass die Arbeitsbelastung sehr hoch ist – auch im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten. Dies liegt an den vielen und langen Gerichtsterminen im Strafrecht, bei denen man ein bisschen der zeitliche Sklave des Gerichts ist und man schon mal 8 – 9 Stunden am Tag verhandelt. Ich selbst habe bis zum Frühjahr 2020 nur noch wenige Tage im Kalender, an denen keine Gerichtstermine anberaumt sind. Und dann kommen noch die außergerichtlichen Mandate dazu, also diejenigen, mit denen man als Strafverteidiger eigentlich sein Geld verdient. Bei mir waren es 2018 laut Statistik 425 Akten. Da brauchen Sie ein gutes Kanzlei-Team, um das organisatorisch zu meistern. Ich würde also meinen Kindern wohl empfehlen, dass sie sich etwas Entspannteres suchen sollten. Es sei denn, sie wollen was richtig Abwechslungsreiches machen. Dann wäre der Job was für sie.