Wenige Fälle in Sachsen haben in den letzten Jahren so bewegt und Emotionen geweckt, wie die Entführung und Ermordung der Schülerin Anneli-Marie aus der Nähe von Meißen im August 2015. Viele Menschen haben Anteil an der Sorge um die Entführte genommen und waren bestürzt über ihren Tod und dessen Umstände.

Auch der Prozess gegen die Täter vor dem Landgericht Dresden wurde im Sommer 2016 von hohem medialen Interesse begleitet. Er war natürlich geprägt von der unterschiedlichen Sichtweise der Beteiligten, die sprichwörtlich aufeinanderprallten. Hier die Familie des Mädchens, die sich als Nebenkläger angeschlossen hatte und sich von Anwälten professionell vertreten ließ – ohne freilich auf eine eigene Teilnahme an allen Verhandlungstagen zu verzichten. Und auf der anderen Seite „das Böse“ in Gestalt der beiden Angeklagten und ihrer Verteidiger.

Nun ist es – als einer dieser Verteidiger – müßig, von den Angehörigen eine Differenzierung zwischen Angeklagtem und Verteidiger zu erwarten. Es ändert nichts daran, dass der Schmerz der Familie das eben ausblendet und es andererseits bei uns als Verteidiger auch keine Rolle spielt und auch nicht spielen darf, wenn wir denn unsere Aufgabe ernst nehmen.

Das Landgericht Dresden hat im September 2016 den Angeklagten B. zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Unseren Mandanten, Herrn Norbert K., hat es zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt (1 Ks 160 Js 40318/15). Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig, nachdem sowohl die beiden Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft zu Lasten meines Mandanten und auf Initiative der Nebenkläger Revision eingelegt hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte zwischenzeitlich ihre Revision zurückgenommen, sodass sich das Strafmaß gegen Herrn B. nicht mehr über die achteinhalb Jahre hinaus erhöhen konnte. Das Ziel der Nebenklage, auch meinen Mandanten lebenslang hinter Gittern zu sehen, wurde mithin nicht erreicht.

Die hiesige Revision stützte sich im Wesentlichen auf die Argumente, die bereits in der Hauptverhandlung kontrovers diskutiert wurden. Wie weit heiligt in einem Rechtsstaat der Zweck, nämlich eine Straftat aufzuklären und den Täter zu verurteilen, die hierbei angewendeten Mittel? Darf das Gericht eine umstrittene Aussage verwerten, obgleich sie rechtswidrig zustande gekommen ist? Wie lange darf ein vorläufig Festgenommener dem Haftrichter vorenthalten werden, gegen den über Stunden hinweg keine Beweise gefunden wurden, sich der Verdacht nicht erhärtete und der selbst die Tat bestritt? Welche Rolle spielt es, wenn die Ermittler protokollierte Vernehmungs- und Pausenzeiten im Nachhinein verändern oder das SEK seinen Einsatzbericht in zwei unterschiedlichen Fassungen zur Akte bringt? Strafverteidigung ist aus Opfersicht immer lästig, aber eben auch essentieller Bestandteil eines fairen rechtstaatlichen Verfahrens. Dazu gehört es, als Verteidiger Zweifel zu säen, Kritik zu üben und Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt.

Das Verfahren ist abgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Landgerichts Dresden unbeanstandet gelassen (5 StR 217/17). Es war aus Sicht unserer Verteidigung wichtig, dass die unterschiedliche Verantwortung am Tode von Anneli-Marie auch beim Strafmaß berücksichtigt wird. Dieses Ziel immerhin haben wir erreicht. Unser Mandant hat nunmehr die Chance, bei weiterhin beanstandungsfreiem Vollzugsverhalten nach spätestens zwei Dritteln seiner Strafe auf Bewährung entlassen zu werden. Das wäre in etwa dreieinhalb Jahren der Fall.

Meine Kanzleikollegin Ina Becherer und ich als Verteidiger hoffen, dass Annelis Familie nunmehr größeren Abstand zum Prozess gewinnt, dass sie – soweit es eben möglich ist – mit der Zeit auch ihren Frieden findet und die Erinnerungen an Anneli die Gedanken an Tat und Täter irgendwann einmal überlagern.

Siehe auch: Strafrecht